Die Tage werden kürzer, dunkler, kühler. Zeit, einen Gang zurückzuschalten und es auch mal gut sein zu lassen. Zeit, uns den ein oder anderen gemütlichen Abend zu Hause auf dem Sofa zu erlauben und ein gutes Buch zu lesen. Zeit, Geist und Körper zu nähren und sich mit einer wohltuenden, wärmenden Öl-Massage auf die Zeit der Einkehr einzustimmen.

Hermanta Ritu & Sisira Ritu – Energie freisetzen und Energie aufbauen

Nach der ayurvedischen Lehre, die sechs Jahreszeiten umfasst, beginnt am 22. Oktober Hermanta Ritu, der frühe Winter, der am 22. Dezember dann in Sisira Ritu, den späten Winter übergeht. Mit den Wechseln der Jahreszeiten verändert sich auch das Zusammenspiel unserer Doshas und unserer Verdauungskraft: Die Winterzeit gilt in der ayurvedischen Tradition als Zeit, in der Vata steigt, was unser Immun- und Nervensystem besonders sensibel reagieren lässt. Vata besitzt die Eigenschaften beweglich, kalt und trocken zu sein und kann durch Wärme und Feuchtigkeit ausgeglichen werden. Zugleich reagiert unser Stoffwechselsystem mit zunehmender Kälte mit einer stärker werdenden Verdauungskraft, weshalb wir ein ausgeprägteres Hungergefühl verspüren und unser Stoffwechsel aktiver ist. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass wir uns gelegentlich auch etwas gehaltvollere oder schwerer verdauliche Mahlzeiten schmecken lassen können, ohne dass es unseren Organismus zu sehr belastet.

Dabei markiert der Wechsel zwischen dem frühen und dem späten ayurvedischen Winter auch einen Wechsel in der Qualität des Gewebe-Stoffwechsels, des sogenannten dhatvagni. Denn die ayurvedische Lehre geht davon aus, dass die Nahrung in den frühen Wintermonaten katabolisch und damit Energie freisetzend verwertet wird. Die späten Wintermonate des Sisira Ritu hingegen gelten als anabolische Stoffwechsel-Phase, in der unser Organismus dann eher Energie speichert und Gewebe aufbaut.

Was bedeutet das für unseren Winter-Alltag?

Durch die Energie freisetzende Stoffwechsel-Qualität ist Hermanta Ritu zum Beispiel sehr gut geeignet, um Gewicht zu reduzieren oder Projekte anzugehen, für die wir viel Energie brauchen. Und wir alle kennen diese produktive Geschäftigkeit vor Jahresende: meist sind die Termine eng getaktet, wir wollen Themen und Projekte abgeschlossen und dies und das noch erledigt wissen. Und tatsächlich ist all das bei aller Anstrengung doch jedes Jahr wieder leistbar, sorgt unser Biorhythmus im ausgeglichenen Zustand mit dynamischer Kraft dafür, dass wir auf Hochtouren laufen, fit und leistungsfähig sind.

 

 

Wenn die Taktung allerdings zu straff ist, reichen auch die günstigen Qualitäten des Hermanta Ritu nicht, um die Folgen von Stress auszugleichen – ein deutliches Zuviel an Aktivität lässt Vata Überhand gewinnen, wodurch das Immunsystem geschwächt wird und es zu einer erhöhten Infektanfälligkeit kommen kann. Dem ist am besten mit wärmenden, aufbauenden und das Immunsystem stärkenden Nahrungsmitteln, Kräutern sowie kräftigen Brühen und Eintöpfen aus erdenden Wurzelgemüsen entgegen zu wirken. Wer nicht generell auf tierische Eiweiße verzichtet, darf hier zu der ein oder anderen Extraportion greifen und zum Beispiel nährende, fermentierte Milchprodukte auf den Tisch bringen. Die alte ayurvedische Literatur rät zum therapeutischen Ausgleich der Doshas und des Agni im frühen Winter sogar ausdrücklich zu einem mäßigen Verzehr von Tieren aus Feuchtgebieten, was in Europa vor allem Geflügel wie Ente, Gans und Pute sowie Süßwasserfische meint. Veganen Ersatz für Proteinquellen bieten Seitan, Tofu, Nüsse und Nussmus oder Hülsenfrüchte. Zu den generell Vata-beruhigenden Gewürzen gehören Anis, Basilikum, Muskat, Kümmel, Kardamom, Süßholz, Nelken, frischer Ingwer, Petersilie, Fenchel und Zimt. Alle Lassi-Fans haben nun ihre Zeit, denn im Winter werden die nährenden Getränke aus einem Teil Joghurt und drei Teilen Wasser, verquirlt mit etwas Steinsalz und einer Prise Kreuzkümmel, oder als süße Variante mit Kardamom und Zimt oder Vanille, alle paar Tage zu dem ein oder anderen Mittagessen empfohlen. Kaffee und Schwarztee sollten nur sehr sparsam genossen werden, denn sie bringen Vata sehr schnell aus dem Gleichgewicht, ein Glas Rotwein am Abend hingegen dürfen wir uns in den Wintermonaten guten Gewissens hin und wieder erlauben!

Apropos trinken: Im Winter decken wir unseren durch das draußen wie drinnen trockene Klima erhöhten Flüssigkeitsbedarf am besten mit viel warmem Ingwerwasser oder abgekochtem Wasser. Auch unsere Haut als unser größtes Organ gilt es, mit viel Feuchtigkeit zu versorgen und mit ihr unseren gesamten Organismus. In der ayurvedischen Lehre gilt die Ganzkörper-Einreibung mit einem warmen Öl, die sogenannte Abhyanga-Massage, als wirksamste Maßnahme bei einem Vata-Überschuss in der kalten Jahreszeit. Besonders gut tut uns jetzt das nussige, erdende Sesamöl auf unserer Haut, wobei vor allem Hände und Füße eine Extraportion Aufmerksamkeit verdient haben, damit sie nicht austrocknen.

Runterfahren zum Jahreswechsel

Nach dieser Energie freisetzenden Zeit während Hermanta Ritu, also ab Weihnachten mit dem Einsetzen von Sisira Ritu braucht unser gesamter Organismus, also sowohl unser Körper als auch unser Geist dann eine Phase der Ruhe, in der wir nachhaltig auftanken und neue Kraft schöpfen. Das Außen macht es vor und lädt zum Mitmachen ein, in der Natur kehrt Stille ein, alles wird ruhiger und langsamer. Und auch wir werden ein wenig träger und bauen nach der bewegten, Vata-intensiven Zeit nun vermehrt Kapha auf, was uns körperlich und mental vor Kälte und Auszehrung wappnet und unser Immunsystem nährt. Für die verschiedenen Konstitutionen bedeutet das:

• Kapha- und Vata-Konstitutionen sollen sich zwar auch im Winter viel an der frischen Luft bewegen, sich dabei aber nicht allzu viel frischen Wind um die Nase wehen lassen.
• Für Pitta-Typen ist es in dieser Zeit besonders wichtig, auf ausreichend reichhaltige Nahrung, am besten mit Ghee zubereitet, zu achten, um das starke Verdauungsfeuer gut zu bedienen.
• Für Vata-Konstitutionen ist es ratsam, während dieser Zeit auf Scharfes zu verzichten und vermehrt gesalzenes Fleisch und Suppen in den Speiseplan aufzunehmen.
• Kapha-Typen sind gut beraten, sich auch im Winter viel zu bewegen, wobei Workouts und Sport eher drinnen absolviert werden sollten. Bewegung draußen sollten Kapha-Typen moderat halten und eher auf ausgedehnte Spaziergänge als auf Ausdauerläufe setzen.